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Aufklärungsgespräch

Gastbeitrag von HDI MedLetter März 2022

Zum Beweis eines ausreichenden Aufklärungsgespräches durch den Nachweis einer „ständigen Übung“ ohne konkrete Erinnerung des aufklärenden Arztes

Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 29.06.2021 – 4 U 1388/20

I. Zum Sachverhalt

Der unter multipler Sklerose leidende Kläger begab sich im Jahr 2013 zur stationären Durchführung einer Immunadsorption in den Betrieb der Beklagten. Einige Tage vor der stationären Aufnahme stellte sich der Kläger ambulant vor und ein angestellter Arzt Dr. O. führte ein Aufklärungsgespräch unter Zuhilfenahme eines Aufklärungsbogens, den der Kläger auch unterzeichnete.

Nach der stationären Aufnahme versuchte der behandelnde Arzt Dr. H. zu Beginn der Behandlung mehrfach erfolglos, einen Shaldon-Katheter in die Schlüsselbeinvene zu legen. Zur Kontrolle und zum Ausschluss eines Pneumothorax wurde ein Röntgenthorax angefertigt. Der Katheter wurde schließlich in die vena femoralis in der rechten Leiste eingeführt, allerdings war die Immunadsorption nicht vollständig möglich. Daher wurde dem Kläger ein Zugang in die Armvene gelegt und die Behandlung in den nachfolgenden Tagen fortgeführt. Bei der Entfernung des Venenkatheters kam es zu einer pulsierenden Spritzblutung, die unmittelbar versorgt wurde. In der Folge entwickelten sich am linken Bein ein Hämatom vom Oberschenkel bis zur Wade und ein Aneurysma im Darmbein, das später chirurgisch entfernt wurde.

Mit seiner Klage macht der Kläger Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeldzahlung wegen Aufklärungs- und Behandlungsfehlern gegen den Beklagten geltend.

Zur Begründung der Aufklärungsrüge führt er an, dass er lediglich auf dem Krankenbett einen Aufklärungsbogen ungelesen unterzeichnet habe; dieser Aufklärungsbogen befand sich jedoch nicht in den Behandlungsunterlagen. An ein vorangegangenes Aufklärungsgespräch konnte sich der Kläger nicht erinnern, bestätigte aber, dass der vorgelegte Aufklärungsbogen zum Aufklärungsgespräch von Herrn Dr. O. seine Unterschrift beinhalte. Inhaltlich bemängelte der Kläger, er hätte über die verschiedenen Zugangsarten für die Anlage des Katheters und die Verwendung eines Shaldon-Katheters anstelle eine Cava-Katheters informiert werden müssen.

Hinsichtlich des Vorwurfs von Behandlungsfehlern behauptet der Kläger, bei der Anlage des Katheters am Schlüsselbein wäre fehlerhaft auf eine Ultraschallkontrolle verzichtet worden. Er gibt an, dass der Zugang über die Vene am Hals hätte gelegt werden müssen. Sowohl das Einbringen des Katheters in die Leiste als auch das Ziehen des Katheters seien fehlerhaft erfolgt.

In erster Instanz hat das Landgericht Leipzig (Urteil vom 15.06.2020 – 7 O 2979/18) die Ansprüche des Klägers verneint. Das Landgericht hatte Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und auch Vernehmung des aufklärenden Arztes Dr. O.

Mit der Berufung verfolgte der Kläger seine Ansprüche weiter und berief sich fortführend auf Behandlungsfehler und eine unzureichende Aufklärung.

II. Aus den Entscheidungsgründen

Das Oberlandesgericht Dresden hat mit Urteil vom 29.06.2021 – 4 U 1388/20 – die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Leipzig zurückgewiesen. Die Richter verneinten eine Haftung des Beklagten sowohl wegen Behandlungs- als auch Aufklärungsfehlern.

Behandlungsfehler konnten nicht festgestellt werden, da nach den Ausführungen des Sachverständigen die Anlage eines Zentralvenenkatheters über die vena femoralis ohne Ultraschallüberwachung im Jahr 2013 dem medizinischen Behandlungsstandard entsprach. Der Sachverständige sah es auch nicht als fehlerhaft an, dass der Zugang über die Vene am Hals nicht versucht worden war. Zudem sei bei der Verletzung der Arteria femoralis eine typische Komplikation eingetreten, die auch bei sorgfältigstem Vorgehen unter Verwendung von Ultraschall nicht immer zu verhindern sei. Schließlich sei auch die Entfernung des Katheters dem medizinischen Standard entsprechend durchgeführt worden.

Weiterhin vermochten die Richter auch keine Aufklärungsdefizite erkennen. Nach Überzeugung des Gerichts hatte der Beklagte den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung erbracht. Der Zeuge Dr. O hat mit dem Kläger unter Zuhilfenahme eines Aufklärungsbogens ein Aufklärungsgespräch geführt; der Bogen war vom Zeugen Dr. O individualisiert und vom Kläger unterzeichnet worden.

Der aufklärende Arzt Dr. O. konnte sich im Rahmen seiner Zeugenvernehmung zwar nicht mehr an das konkrete Aufklärungsgespräch mit dem Kläger erinnern. Er konnte jedoch den üblichen Ablauf und die regelmäßigen Inhalte seiner Aufklärungsgespräche schlüssig und detailliert schildern sowie die Bedeutung seiner handschriftlichen Zusätze umfassend erläutern. Vor diesem Hintergrund sahen die Richter sowohl in der ersten als auch zweiten Instanz den Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung als erbracht an.

Inhaltlich sei es auch nicht erforderlich gewesen, den Kläger über die verschiedenen Zugangswege für die Anlage des Katheters zu informieren, da die Aufklärung nur „im Großen und Ganzen“ zu erfolgen habe. Die Gefahr von Verletzungen benachbarter Gefäße und Blutungen sei bei der Einführung des Katheters in der Leiste nicht wesentlich anders als am Schlüsselbein oder am Hals. Ebenso habe der Kläger nicht über die verschiedenen Arten von Kathetern aufgeklärt werden müssen, da beide Katheter zur Anlage über die vena femoralis geeignet waren; unterschiedliche Risiken waren nicht ersichtlich.

II. Fazit

Die Richter des OLG Dresden setzen die bisherige Rechtsprechung zum Nachweis einer hinreichenden Aufklärung durch die schlüssige Darlegung der „ständigen Übung“ bei Aufklärungsgesprächen fort und betonen damit erneut die wesentliche Bedeutung der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Beweisführung durch die ärztliche Schilderung der regelmäßigen geübten Patientenaufklärung wird oftmals auch als sog. „immer-so-Beweis“ bezeichnet.

Zur Einordnung dieser Entscheidung im Einzelnen:

Gemäß § 630e des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären; die Einzelheiten insbesondere zu dem erforderlichen Inhalt und auch der Form der Aufklärung werden im Weiteren der Vorschrift festgelegt.

Im Arzthaftungsprozess liegt die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung grundsätzlich beim Arzt, vgl. § 630h Absatz 2 BGB. Rügt der Patient die Aufklärung, hat der Arzt somit den Beweis einer hinreichenden, den Anforderungen des § 630e BGB entsprechenden Aufklärung zu führen. Als Beweismittel kommen insbesondere die Patientendokumentation nebst etwaiger Aufklärungsbögen, die Benennung von Zeugen und auch die Parteivernehmung in Betracht. Im vorliegenden Fall wurde der aufklärende Arzt als Zeuge vernommen, da die Arzthaftungsklage nicht gegen ihn, sondern seinen Arbeitgeber gerichtet war.

Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 BGB hat das Gericht sodann unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die streitige Aufklärung ordnungsgemäß war. Der Bundesgerichtshof betont in seiner ständigen Rechtsprechung insoweit die Notwendigkeit einer verständnisvollen und sorgfältigen Abwägung der tatsächlichen Umstände im Einzelfall und den erheblichen Freiraum des Tatrichters (so BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – VI ZR 143/13). Das OLG Dresden hat hierzu nun erneut und ausdrücklich klargestellt, dass das Gericht die mündlichen Angaben des aufklärenden Arztes über eine erfolgte Risiko- bzw. Eingriffsaufklärung ausreichen lassen kann, wenn seine Darstellung in sich schlüssig ist, die entsprechende Aufklärung seiner zum fraglichen Zeitpunkt praktizierten „ständigen Übung“ entspricht und seine Angaben durch die ärztliche Dokumentation im Wesentlichen bestätigt wird.

Auch der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahr 2014 (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – VI ZR 143/13) entsprechend geurteilt und ausgeführt, dass es für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht unbedingt erforderlich ist, dass sich der Arzt an das konkrete Aufklärungsgespräch (Ort, Umstände, genauer Inhalt) erinnert. Angesichts der Vielzahl von Informations- und Aufklärungsgesprächen, die Ärzte täglich führen, könne dies nicht erwartet werden. An den vom Arzt zu führenden Nachweis der ordnungsgemäßen Aufklärung seien keine unbilligen oder übertriebenen Anforderungen zu stellen. Sei einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist.

Der Bundesgerichtshof betonte in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung von Aufklärungsbögen:

„Einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, gibt dabei das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat. Dieses Formular ist - sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht zugleich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.

Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, Standards auch für die Aufklärung zu setzen, zu dokumentieren und einzuhalten, um im Haftungsfalle die in der Praxis oder im Betrieb vorhandene Aufklärungsroutine als „ständige Übung“ hinreichend schlüssig darlegen zu können. Angesichts der Vielzahl von Aufklärungsgesprächen dürfte eine konkrete Erinnerung des aufklärenden Arztes an ein bestimmtes Gespräch eher selten, z.B. bei besonderen Vorkommnissen, gegeben sein. In allen anderen Fällen gibt der „immer-so-Beweis“ die Möglichkeit einer ergänzenden Beweisführung.

Autorin:
Rechtsanwältin Dr. Kathrin Thumer
Fachanwältin für Medizinrecht
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Der Beitrag ist im Januar 2022 im medizinisch-juristischen Newsletter der Thieme Compliance GmbH erschienen

 

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